Rechtsprechung

Rechtssätze

  • Schadenersatz der Versicherung bei Aufklärungspflichtverletzung

    05 CG.2022.163 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    1)   Das Vertragsstatut des Art 39 IPRG erfasst grundsätzlich sämtliche der sich aus dem Vertrag ergebenden Beziehungen zwischen den Vertragsparteien. Dazu gehören auch die Folgen einer Vertragsverletzung, wie insbesondere Schadenersatzansprüche. Für das auf Grundlage des IVersG ermittelte Statut von Versicherungsverträgen gilt nichts anderes.

    2)   Schadenersatzansprüche aufgrund von verletzten Aufklärungs- oder Beratungspflichten unterliegen selbst dann dem (hypothetischen) Vertragsstatut, wenn sie das vorvertragliche Stadium betreffen. Folgt das Vertragsstatut aus einer Rechtswahl zwischen den Vertragsparteien, so bindet diese auch Dritte, deren Rechte mit dem Vertragsverhältnis begründet und die auf dessen Grundlage begünstigt werden sollen (hier: Bezugsberechtigte einer Lebensversicherung).

    3)   Bei behaupteter Verletzung einer Aufklärungspflicht durch Unterlassung bleibt der Geschädigte für die Kausalität der Pflichtverletzung hinsichtlich Schadenseintritt und -umfang beweispflichtig. Die Notwendigkeit eines Rückgriffs auf Wahrscheinlichkeiten bei der Beweisführung ändert daran nichts. Ein kausalitätsbezogenes non liquet (hier: fehlendes Beweisergebnis hinsichtlich des schadensvermeidenden Verhaltens Dritter bei hypothetisch erfolgter Aufklärung durch den Vertragspartner) steht dem Zuspruch von Schadenersatz entgegen.

    4) Der Rechtswidrigkeitszusammenhang bildet eine (auch für die vertragliche Haftung relevante) Voraussetzung der Ersatzpflicht. Gehaftet wird nur für die Verletzung jener Interessen, derentwegen ein bestimmtes Verhalten gefordert oder untersagt ist. Mit Blick auf gesetzliche Bestimmungen ist deshalb vorab durch Auslegung zu ermitteln, ob deren Schutzbereich sowohl für den jeweiligen Schaden (sachlich) als auch mit Blick auf den Geschädigten (persönlich) eröffnet ist.

    5)   Ob es sich bei einem Meinungsstand in der Literatur um die sog herrschende Meinung handelt, ist nicht bloss nach quantitativen Merkmalen (Anzahl der Vertreter einer Meinung), sondern vielmehr im Lichte einer Gesamtschau qualitativer Kriterien zu beurteilen. Sofern es um die Anwendung ausländischen Rechts geht, ist ein Rückgriff auf die dort herrschende Literaturmeinung nur subsidiär. Für ihn bleibt kein Raum, wenn die jeweilige Rechtsfrage durch ausländische höchstgerichtliche Rechtsprechung bereits eindeutig beantwortet ist.

     

  • Zur Beweislastverschiebung

    15 CG.2020.30 vom 05.04.2024

    Rechtssatz

    Eine Beweislastverschiebung ist auf Ausnahmefälle beschränkt, in denen die „Nähe zum Beweis“ – im Einzelfall – den Ausschlag für die Zuteilung der Beweislast gibt; etwa dann, wenn Tatfragen zu klären sind, die „tief in die Sphäre einer Partei hineinführen“. Zu einer Verschiebung der Beweislast kommt es also (nur) dann, wenn der Kläger mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismässige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen dem Beklagten diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihm daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben auch ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben. Allein durch einen Beweisnotstand wegen der besonderen Umstände des Einzelfalls ist eine Verschiebung der Beweislast hingegen nicht gerechtfertigt (hier: Ansprüche nach Art 218 ff PGR und §§ 1293 ff ABGB).

    15 CG.2020.30 - OGH.2023.107

  • Fiduziarischer Errichtung des Trusts: Auskunftsrechte des Treugebers

    06 CG.2020.232 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Art 552 § 4 Abs 3 PGR: Die Bestimmung des Art 552 § 4 Abs 3 PGR kann auf den Trust analog herangezogen werden. Auch im Fall der fiduziarischen Errichtung eines Trusts durch einen indirekten Stellvertreter ist der Geschäftsherr (Machtgeber) als Treugeber anzusehen.

    Art 917 PGR, § 49 Abs 3, § 68 TrUG: Dem Treugeber stehen auch bei fiduziarischer Errichtung des Trusts Auskunfts- und Einsichtsrechtsrechte gegenüber den Treuhändern des Trusts zu. Diese Rechte müssen nicht in der Treuanordnung vorbehalten werden.

    § 863 ABGB: Ein stillschweigender Verzicht (hier: auf Informationsrechte des Treugebers) darf immer nur dann angenommen werden, wenn besondere Umstände darauf hinweisen, dass er vom konkludent Erklärenden ernstlich gewollt ist.

    06 CG.2020.232 - OGH.2023.95

  • Zur Ausschaffungshaft

    12 UR.2024.1 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Auch passives Verhalten bei der Identitätsabklärung und Papierbeschaffung kann die Annahme einer Untertauchensgefahr begründen.

    Art 61a Abs 5 AuG fordert den Beistand eines Verteidigers nicht schon bei der Anordnung oder Durchführung der Verhandlung gemäss Art 60 Abs 3 AuG zur Überprüfung der Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft.

    Worüber der Betroffene in der Haftverhandlung im Ausschaffungsverfahren zu belehren ist, ist in Art 61a Abs 2 AuG geregelt.

    Die Anwendung gelinderer Mittel ist auch im Falle einer Ausschaffungshaft zu prüfen.

    12 UR.2024.1 - OGH.2024.9

  • Zur Verzinsung von rechtsgrundlos vorenthaltenen Geldbeträgen

    08 CG.2022.207 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    §§ 1479, 1480 ABGB in Verbindung mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz: Unter gewissen Umständen verjähren (Vergütungs)Zinsen aus rechtsgrundlos vorenthaltenen Geldbeträgen erst nach dreissig Jahren und gebühren auch schon für den Zeitraum vor Einmahnung.   

    § 487 Abs 1 ZPO: Auch ein vom Berufungsgericht gefasster Urteilsberichtigungsbeschluss ist ein im Berufungsverfahren ergangener Beschluss, gegen den gemäß § 487 Abs 1 ZPO ein Rekurs unstatthaft ist.

    §§ 423, 465 Abs 1 Z 1 ZPO: Ein nicht erledigter Sachantrag scheidet mangels Rüge aus dem Verfahren aus.

    § 475 Abs 1 Z 2 ZPO: Der Verweis in der Revision auf den Inhalt von anderen in derselben oder in einer anderen Rechtssache erstatteten Schriftsätzen (Rechtsmitteln) ist nicht zulässig.

    Art XV EGZPO:  Bei der Fällung eines Teilurteils über die Verpflichtung zur Rechnungslegung müssen auch die Grundlagen des erst zu beziffernden Leistungsbegehrens geklärt werden. Allerdings müssen die Grundlagen des Zahlungsbegehrens nur soweit geprüft werden, als sie sich mit den Grundlagen der Rechnungslegungspflicht decken. Über verjährte Herausgabeansprüche muss nicht Rechnung gelegt werden, weshalb schon im Manifestationsverfahren die Verjährung des Anspruchs auf Herausgabe zu prüfen ist.

    08 CG.2022.207 - OGH.2024.4

  • Zur Schadensminderungspflicht

    15 CG.2022.38 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Die im gesamten Bereich des Sozialversicherungsrechts geltende Schadenminderungspflicht und die daraus abgeleitete Selbsteingliederungslast gelten auch im Bereich des Krankengelds nach KVG. Die genannten Grundsätze gebieten grundsätzlich, die Frage nach der Verwertbarkeit der Restarbeitsfähigkeit möglichst früh zu beantworten. Freilich sind bestimmte Rahmenbedingungen zu beachten (hinreichende ärztliche Bescheinigung, objektive und subjektive Zumutbarkeit, Einkommensvergleich) (E. 10).

    15 CG.2022.38 - OGH.2023.125

  • Beiträge an die betriebliche Personalvorsorge

    SV.2023.32 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Es ergibt sich aus dem klaren Wortlaut von Art 9 lit a AHVV unmittelbar, dass sämtliche Beiträge, welche gestützt auf ein Reglement an die betriebliche Personalvorsorge entrichtet werden, beitragsfreie Leistungen sind. Eine bestimmte prozentuale Begrenzung kann nicht angenommen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass ein triftiger Grund das Ergebnis nahelegen könnte, dass der Wortlaut am wahren Sinn der Regelung vorbeizielt. Weder die Entstehungsgeschichte, noch der Zweck oder der Zusammenhang mit anderen Vorschriften, noch das Merkblatt 1.4 lassen einen solchen triftigen Grund erkennen (E 12, E 14).

    SV.2023.32 - OGH.2024.11

  • Zur Bezahlung von Überstunden und Überzeit

    07 CG.2020.333 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Bei Überstunden zwischen der vereinbarten Arbeitszeit und der Maximalarbeitszeit kann gemäss Arbeitsgesetz die Bezahlung eines Zuschlags und auch des Normallohns wegbedungen werden, nicht aber bei Überschreitung der Maximalarbeitszeit.

    07 CG.2020.333 - OGH.2023.105

  • Zum Vorbringen

    15 CG.2022.13 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    § 232 Abs 1 ZPO: Beilagen, also auch SV-Gutachten, können als Bestandteil des Vorbringens qualifiziert werden, wenn dies aus dem Vorbringen klar hervorgeht.

     § 243 Abs 2 ZPO: Mit der Bestreitung des geänderten Klagsvorbringens hat die beklagte Partei darüber verhandelt und damit ihr zeitlich abgegrenztes Widerspruchsrecht verwirkt. Eine Entscheidung über die Klagsänderung ist in diesem Fall nicht erforderlich.

     § 432 Abs 2 ZPO: Die Einräumung einer Neuerungserlaubnis zugunsten jener Partei, die in erster Instanz entgegen ihrer prozessualen Diligenzpflicht nicht vollständig vorbringt, wäre eine mit dem Grundsatz des fair trial nicht zu vereinbarende "Belohnung" der Verletzung der prozessualen Vollständigkeitspflicht (§ 178 ZPO) und damit dem Prozessgegner gegenüber nicht zu rechtfertigen.

     § 475 Abs 1 Z 2 ZPO: Der Inhalt einer Rechtsmittelerklärung kann nicht ein „Bestreiten“ und „Anerkennen“ von „Darlegungen“ des bekämpften Urteils sein, sondern nur die bestimmte Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird.

    15 CG.2022.13 - OGH.2023.108

  • Zur Beweiswürdigung und Privatgutachten

    03 CG.2020.102 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    § 272 ZPO: Fragen der Beweiswürdigung und Tatsachenfeststellung gehören in den Bereich des Prozessrechts und sind daher nach der lex fori zu beurteilen.

     § 272 ZPO, Art 17 PGR: „Geschäfts(un)fähigkeit“ stellt einen rechtlichen Schluss aus einem erst festzustellenden und daher den Beweisgegenstand bildenden Gesundheits- bzw Geisteszustand dar.

     §§ 351 ff ZPO: Ein Privatgutachten ist selbst dann, wenn es von einem gerichtlich beeideten Sachverständigen erstellt wurde, nicht als Sachverständigengutachten, sondern verfahrensrechtlich als Privaturkunde anzusehen. Daraus folgt, dass das Privatgutachten den Regeln des Urkundenbeweises unterliegt. Als solche beweisen Privatgutachten lediglich, welche Ansicht der Verfasser vertritt.

     § 432 Abs 2 ZPO, §§ 351 ff ZPO: Nach der Judikatur des Fürstlichen Obersten Gerichtshofs sind dem Rechtsmittel angeschlossene Privatgutachten grundsätzlich unbeachtlich.

     § 472 Z 2 ZPO: Verfahrensmängel in erster Instanz, die im Berufungsverfahren gerügt und von der Berufungsinstanz verneint wurden, können in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden.

     § 472 Z 2 ZPO Auch die prozessuale Entscheidung, ob eine Beweisergänzung notwendig erscheint, ist ein – in dritter Instanz unüberprüfbarer – Akt der Beweiswürdigung. Daher ist die Frage, ob dem Sachverständigengutachten gefolgt werden kann oder ob ein weiteres einzuholen gewesen wäre oder ob die Privatgutachten bzw Stellungnahmen zu erörtern gewesen wären, eine Frage der in dritter Instanz nicht überprüfbaren Beweiswürdigung.

    03 CG.2020.102 - OGH.2023.104

  • Zur Rechtsrüge

    05 CG.2022.100 vom 01.03.2024

    Rechtssatz

    Eine Rechtsrüge, die sich (überwiegend) von den Feststellungen entfernt und in (unrichtigen) Rechtsbehauptungen erschöpft oder darauf beschränkt, allgemein die Unrichtigkeit der unterinstanzlichen rechtlichen Beurteilung zu behaupten, ohne dies im Sinn einer Auseinandersetzung mit den Argumenten des Berufungsgerichts zu konkretisieren, ist nicht gesetzmässig ausgeführt und einer Behandlung durch das Revisionsgericht nicht zugänglich.

    05 CG.2022.100 - OGH.2023.117+118

  • Rechtsmittel per E-Mail an Richter oder andere Gerichtspersonen nicht zulässig und nicht fristwahrend.

    09 CG.2023.17 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    §§ 437 Abs 1, 75 Z 3 ZPO und §§ 84, 85 ZPO: An Organe oder Bedienstete des Gerichts per E-Mail übermittelte Rechtsbehelfe wirken in der Regel nicht fristwahrend. Eine Ausnahme kann - abhängig von den Umständen des Einzelfalls -  beispielsweise dann gerechtfertigt sein, wenn ein Fehler vorliegt, der nach §§ 84, 85 ZPO verbesserungsfähig und somit nicht auf eine missbräuchliche Inanspruchnahme dieses Rechtsinstituts zurückzuführen ist.

    Art 8 Abs 1 MWSTG: Eine von Rechtsanwälten gegenüber einem im mehrwertsteuerrechtlichen Ausland, das heisst nicht im Fürstentum Liechtenstein oder der Schweiz, wohnhaften Klienten erbrachte Dienstleistung gilt als im Ausland erbracht.

    09 CG.2023.17 - OGH.2023.99

  • Bereicherungsrechtlicher Rückerstattungsanspruch, Verjährungsfrist

    05 CG.2022.270 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Bereicherungsansprüche unterliegen grundsätzlich der dreissigjährigen Regelverjährung gemäss § 1478 ABGB. Davon zu unterscheiden sind die „Forderungen aus dem Versicherungsvertrag“, die ihrer Rechtsnatur nach Erfüllungsansprüche sind; für sie gilt gemäss Art 38 VersVG eine fünfjährige Verjährungsfrist. Eine analoge Anwendung des Art 38 VersVG auf den bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruch nach erklärtem Vertragsrücktritt findet nicht statt.

    05 CG.2022.270 - OGH.2023.83

  • Zur Invalidenrente: nachträglich eingereichte medizinische Unterlagen

    SV.2023.24 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Nachträglich eingereichte medizinische Unterlagen sind – soweit nicht das bereits vorliegende medizinische Gutachten in Frage steht – nicht von den Sachverständigen des bereits erstellten Gutachtens zu begutachten, sondern im Rahmen einer Beweiswürdigung durch die IV einzuordnen. Diese hat in der Folge zu entscheiden, ob die Beweiswürdigung bereits zu einem hinreichenden Resultat geführt hat oder ob im Rahmen der Untersuchungspflicht ein (Verlaufs-)Gutachten einzuholen ist (E. 8.8).

    SV.2023.24 - OGH.2023.100

  • Invalidenrente und Wohnsitz

    SV.2023.23 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Art 34 Abs 1 lit a einerseits und Art 34 Abs 1 lit b AHVG anderseits sind alternativ zu verstehen. Wenn Art 34 Abs 1 lit a AHVG an erster Stelle das Unterstellungkriterium des zivilrechtlichen Wohnsitzes nennt, wird damit der Charakter einer Volksversicherung betont. Mehr kann daraus nicht abgeleitet werden. Die ständige Verwaltungspraxis hat seit je bei paralleler Erfüllung des Unterstellungskriteriums des zivilrechtlichen Wohnsitzes und zugleich der Erwerbstätigkeit einzig auf das Unterstellungkriterium der Erwerbstätigkeit abgestellt. Andernfalls würde resultieren, dass ein und dieselbe erwerbstätige und in Liechtenstein wohnhafte Person sowohl Erwerbstätigenbeiträge wie auch Nichterwerbstätigenbeiträge bezahlen müsste.

    Das Prinzip, dass bei paralleler Erfüllung des Kriteriums des Wohnsitzes und der Erwerbstätigkeit die Unterstellung primär wegen Erwerbstätigkeit vorgenommen wird, gilt auch im internationalen Bereich, wenn hier eine Erwerbstätigkeit im einen (Vertrags-)Staat mit der Nichterwerbstätigkeit/dem Wohnsitz im anderen (Vertrags-)Staat zusammenfällt. Entsprechende staatsvertragliche Regelungen, welche auf das Erwerbsortsprinzip abstellen, bringen insoweit mit sich, dass bei Erwerbstätigkeit im einen Staat (beispielsweise in der Schweiz) trotz Wohnsitzes im anderen Staat (beispielsweise in Liechtenstein) hier eine obligatorische Versicherungsunterstellung fehlt (E 7.4).

    SV.2023.23 - OGH.2023.88

  • Klagseinschränkung und unrichtige Rechtsmittelbelehrung

    03 CG.2019.11 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    § 243 Abs 4 ZPO: Die Umstellung des Klagebegehrens von Herausgabe einer Sache an die Partei auf Gerichtserlag bedeutet ein Minus und damit eine Klagseinschränkung.  

    §§ 431, 471 ZPO: Eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung eröffnet keine vom Gesetz nicht vorgesehene Rechtsmittelmöglichkeit. Jedenfalls die rechtskundig vertretenen Parteien können auf eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung nicht vertrauen.

    03 CG.2019.11 - OGH.2023.85+86

  • Verfahrensmängel erster Instanz und gesetzmässige Ausführung der Revision

    08 CG.2023.13 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    § 472 Z 1, § 446 Abs 1 Z 9 ZPO: Von einer mangelnder Begründung im Sinne des Nichtigkeitsgrundes des § 446 Abs 1 Z 9 ZPO kann nur dort gesprochen werden, wo die Entscheidung gar nicht oder so unzureichend begründet ist, dass sie sich nicht überprüfen lässt.

     § 472 Z 2 ZPO: Ein Verfahrensmangel erster Instanz, der im Berufungsverfahren zwar gerügt, vom Berufungsgericht aber verneint worden ist, kann im Revisionsverfahren nicht mehr geltend gemacht werden.

     § 475 Abs 2 ZPO: Weitläufige „Einleitungen“ vor der konkreten Rechtsrüge entsprechen § 475 Abs 2 ZPO nicht und sind per se gesetzwidrig.

     § 475 Abs 2 ZPO: Dass das Fürstliche Obergericht angeblich über die Berufung „drübergefahren“ sei bzw „das gesamte Verfahren … dem Grunde nach auf rechtlich verfehlten Überlegungen“ basiere, stellt keine gesetzmässige Ausführung des Rechtsmittelgrundes der unrichtigen rechtlichen Beurteilung dar.

     § 475 Abs 2 ZPO: Eine Revision, die verfahrensrechtliche Grundsätze nicht berücksichtigt, ist „nicht gesetzmässig ausgeführt“.

     § 475 Abs 2 ZPO: Geht der Rechtsmittelwerber nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, dann ist der Revisionsgrund des § 472 Z 4 ZPO nicht gesetzmässig ausgeführt und sind die Ausführungen unbeachtlich.

    08 CG.2023.13 - OGH.2023.126

  • Zu Verfahrensmängeln erster Instanz

    02 CG.2020.217 vom 09.02.2024

    Rechtssatz

    Wurde ein Mangel erster Instanz in der Berufung geltend gemacht, vom Berufungsgericht jedoch verneint, dann kann der Mangel gewöhnlich (von Ausnahmefällen abgesehen) in der Revision nicht mehr gerügt werden.

    §§ 196, 328 ZPO: Die angebliche Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (bei Einvernahme eines Zeugen durch den ersuchten Richter nach) ist seit der ZPO-Novelle 2018 rügepflichtig.

    §§ 266 ZPO: Eine im Verfahren vorgelegte Urkunde, die ihrem Inhalt nach unstrittig ist, kann der Entscheidung des Revisionsgerichts zugrunde gelegt werden.

    Art 100 Abs 1 LV: Schriftliche Aussagen von Zeugen sind dem liechtensteinischen Zivilprozess fremd (Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit).

    02 CG.2020.217 - OGH.2023.68

  • Richterliche Betragsschätzung: Anfechtbar nur bei Ermessensexzess

    CO.2023.1 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    § 60 Abs 2 ZPO: Beim Kautionsverfahren handelt es sich um ein summarisches Bescheinigungsverfahren, welches auf prognostischer Grundlage beschleunigt durchzuführen ist.

    Der Betrag der zu leistenden Sicherheit ist nicht „auf das Komma genau“ zu berechnen, zumal es sich immer um eine Prognoseentscheidung handelt, der eine Ungenauigkeit immanent ist.

    § 60 Abs 2, § 273 ZPO: Entscheidungen des Gerichts aufgrund richterlicher Betragsschätzung (§ 273 ZPO) können nur unter dem Aspekt eines „Ermessensexzesses“ erfolgreich bekämpft werden.

    § 267 Abs 1 ZPO: Ein schlüssiges Geständnis mangels eines ausdrücklichen Bestreitens des gegnerischen Vorbringens kann grundsätzlich nur unter Berücksichtigung des Gesamtvorbringen der nicht bestreitenden Partei angenommen werden.

    CO.2023.1 - OGH.2023.43

  • Zu Schadenersatzansprüchen

    09 CG.2022.31 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    § 232 ZPO: Jeder von mehreren in einer Klage geltend gemachten Schadenersatzansprüchen muss ziffernmässig bestimmt und individualisiert sein.

    09 CG.2022.31 - OGH.2023.54

  • Zur Nichtigkeitsklage

    15 CG.2022.130 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

     § 497  Abs 2 ZPO: Erfolglose Geltendmachung der mangelnden Vertretung im Vorverfahren schliesst Nichtigkeitsklage aus.

    15 CG.2022.130 - OGH.2023.93

  • Zurückziehung der Revision

    08 CG.2022.207 - ON 83 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    §§ 482, 454 ZPO: Die Zurückziehung der Revision ist bis zur Entscheidung über diese zulässig; das ist mit deklarativem Beschluss zur Kenntnis zu nehmen.

    Eine Kostenentscheidung ist mit diesem Beschluss in der Regel (noch) nicht zu treffen. Über die aus der Zurückziehung der Revision nach § 454 Abs 3 ZPO iVm § 482 ZPO resultierende Kostenersatzpflicht des Rechtsmittelwerbers ist nämlich nicht von Amts wegen zu entscheiden. Voraussetzung für einen Kostenzuspruch ist vielmehr ein darauf gerichteter, fristgebundener Antrag des Rechtsmittelgegners. Auch Kosten, die der Höhe nach bereits in der Rechtsmittelbeantwortung verzeichnet wurden, sind in diesem Fall nur über gesonderten Antrag zuzusprechen, weil der Zurückziehung eines Rechtsmittels häufig eine abschliessende aussergerichtliche Einigung der Parteien zugrunde liegt.

    08 CG.2022.207 - OGH.2023.74 ON 83

  • Invaliditätsgrad

    SV.2023.17 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Bezogen auf ausländische Entscheidungen zur Höhe des Invaliditätsgrades besteht keine Bindungswirkung.

    SV.2023.17 - OGH.2023.79

  • Zum Urteilsspruch

    08 CG.2022.207 - ON 85 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    §§ 472 Z 2, 423 ZPO:

    In einem Urteilspruch muss sowohl der stattgebende Teil genau bezeichnet, als auch die Abweisung des nicht zugesprochenen Begehrensteils ausdrücklich enthalten sein. Das gilt auch für Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte. Sonst kann ein Ergänzungsantrag zu stellen bzw das (Berufungs-)Urteil mangelhaft sein.

    Der nicht erledigte Teil eines Klagebegehrens scheidet aus dem Verfahren aus, sofern die nicht gänzliche Erledigung des Klagebegehrens nicht mit einem Rechtsmittel oder Ergänzungsantrag gerügt wird. Weder die Versäumung des Rechtsmittels noch des Urteilsergänzungsantrags präkludiert die Geltendmachung des nicht erledigten Anspruchs mit selbstständiger Klage.

    08 CG.2022.207 - OGH.2023.75 ON 85

  • Zur aufschiebenden Wirkung

    SV.2023.27 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Die aufschiebende Wirkung bedeutet, dass die in Frage stehende Rechtsfolge vorläufig nicht eintritt, sondern gehemmt wird. Der tatsächliche und rechtliche Zustand soll insoweit einstweilen erhalten bleiben. Bei der aufschiebenden Wirkung soll wie bei allen vorsorglichen Massnahmen, der durch den Endentscheid zu regelnde Zustand weder präjudiziert noch verunmöglicht werden. Einer Prognose des Ausgangs im Hauptverfahren kann nur Bedeutung zukommen, wenn ein solcher Ausgang des Verfahrens mit grosser Wahrscheinlichkeit eintritt. Die Sozialversicherung hat ein erhebliches Interesse daran, Rückforderungen zu vermeiden, was bei der Prüfung der aufschiebenden Wirkung massgebend zu berücksichtigen ist.

    SV.2023.27 - OGH.2023.82

  • Fälligkeit des Darlehens nach "Möglichkeit und Tunlichkeit"

    09 CG.2023.26 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Die Fälligkeit nach „Möglichkeit und Tunlichkeit“ ist eine Spielart rechtsgeschäftlicher Terminisierung. Der Ausdruck, nach „Möglichkeit und Tunlichkeit“ zu zahlen, ist eher ungebräuchlich, der Schuldner umschreibt diese Erfüllungsform beispielsweise mit den Worten „werde nach und nach zahlen“ oder „bei Besserung der Verhältnisse, des Vermögens und/oder Einkommens“ (hier: Wenn es der Schuldnerin finanziell besser geht). „Tunlichkeit und Möglichkeit“ bedeutet nicht Leistung nach Belieben, berechtigt also nicht zu einem zeitlichen Hinausschieben auf lange Zeit.

    09 CG.2023.26 - OGH.2023.98

  • Invalidität, Kindesalter

    SV.2023.19 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    Ohne hinzutretende Gesichtspunkte ist bei der Bestimmung der Invalidität nicht immer ein Statuswechsel vorzunehmen, wenn das (jüngste) Kind das Alter 15 erreicht hat. Es sind unterschiedliche Kriterien von Bedeutung, welche für die Klärung der Statusfrage massgebend sind. Es ist somit allemal eine einzelfallbezogene Beurteilung vorzunehmen (E. 8.5). Wenn die versicherte Person zwar tatsächlich erwerbstätig ist, aber das zumutbare Stellenpensum nicht vollständig ausschöpft, ist für die Bestimmung des Invalideneinkommens eine Hochrechnung des effektiven Einkommens auf das zumutbare Pensum an sich möglich. Wenn indessen die Arbeitgeberin eine Pensumserhöhung gänzlich ausschliesst, muss die versicherte Person zwecks voller Ausschöpfung ihrer Arbeitsfähigkeit eine zusätzliche Arbeitsstelle suchen, wobei diesbezüglich auf LSE-Tabellenwerte abzustellen ist. Damit wird auf denjenigen Lohn abgestellt, welcher im allgemeinen Arbeitsmarkt gespiegelt ist (E. 9.4)

    SV.2023.19 - OGH.2023.91

  • ordre public

    08 CG.2022.41 vom 05.01.2024

    Rechtssatz

    1) Der ordre public dient dem Schutz der inländischen Rechtsordnung, nicht so sehr der inländischen Rechtssubjekte. Die individuelle Rechtssphäre der Inländer ist nicht Schutzobjekt. Weil die ordre-public-Klausel eine systemwidrige Ausnahme darstellt, wird allgemein sparsamster Gebrauch gefordert. Eine schlichte Unbilligkeit des Ergebnisses genügt ebenso wenig wie der blosse Widerspruch zu zwingenden liechtensteinischen Vorschriften (hier: kein Verstoss gegen den ordre public, dass der Kläger im Rahmen der in Österreich abgeschlossenen Scheidungsvereinbarung den Unterhaltsanspruch der Beklagten auf Basis seines Verschuldens anerkannt hat).

    2)   Bei selbständig Erwerbstätigen ist ganz allgemein das Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre massgeblich.

    3)   Bei der Unterhaltsbemessungsgrundlage sind auch alle geldwerten Naturalbezüge (Sachbezüge mit Einkommensfunktion) zu berücksichtigen.

    4)   Pensionsleistungen aus der gesetzlichen Pensionsversicherung oder einer betrieblichen Altersvorsorge fallen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage.

    5)      Bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs im Ausland lebender Kinder eines im Inland wohnenden Elternteils sollen die Unterhaltsbeiträge einerseits in einem angemessenen Verhältnis zu den durchschnittlichen Lebensverhältnissen und zur Kaufkraft im Heimatland der Kinder stehen und andererseits die Kinder am Lebensstandard des in Liechtenstein lebenden Unterhaltsverpflichteten teilnehmen lassen. Diese Rechtsprechung gilt auch für den Ehegattenunterhalt.

    08 CG.2022.41 - OGH.2023.76